Der Koffer ist untrennbar mit dem Begriff des Reisens verbunden. Oder haben wir ihn etwa nicht zu einem Schattendasein im Keller oder auf dem Dachboden verbannt, aus dem wir ihn nur hervorholen, wenn wir ihn endlich wieder brauchen, unseren Siebenschläfer, zum Zweck der Reise? Spätestens dann fällt uns wieder ein, welche Beziehung wir zu diesem Gegenstand haben, denn Koffer konservieren die Erinnerung an alle erlebten Reisen.
In meinen Arbeiten visualisiere ich vier prägnante Abschnitte im „Kofferleben“: Das Packen, die Sicherheitskontrolle am Flughafen, den Transport und eine Versteigerung. Im Aufbau der Ausstellung wird deutlich, dass ein Koffer Teil eines ewigen Kreislaufs ist, auch wenn er einmal verloren gehen sollte und versteigert wird, tritt er wieder in diesen ein, denn der neue Besitzer wird früher oder später auch einmal den Koffer packen. So begegnet man in meiner Arbeit zwei verschiedenen Reisen, der des Koffers und meiner eigenen, der Ideenreise. Wie die Freiheit des Reisens will meine Arbeit fragmentarisch ein offenes Experiment bleiben, denn schließlich gilt: Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen. (Goethe)
Das Packen ist für die meisten von uns doch eher eine nervenraubende Angelegenheit. Plötzlich steht eine Flut von Entscheidungen an, die in kürzester Zeit zu treffen sind:
Koffer auf. Das blaue T-Shirt oder doch lieber
das rote? Na, dann einfach beide und das weiße
noch dazu. Und, Moment: Es wird doch hoffentlich nicht regnen?
Dann muss die Regenjacke auch noch mit. Koffer zu.
Nein, doch lieber den Knirps, der nimmt ja auch nicht
soviel Platz weg. Koffer auf, Koffer zu.
Nach einem strikten Ja / Nein-Prinzip sollten wir entscheiden, was wirklich wichtig ist. Dabei wissen wir längst selbst nicht mehr, was wir brauchen.
In den zwei Kofferobjekten stehen sich zwei Packkulturen gegenüber: Der eine geplant, sortiert, die Farben stehen unvermischt nebeneinander. Dabei habe ich bewusst auf eine harmonische Zusammenstellung der Farben und auf eine ausgewogene Komposition geachtet. Der Packende, Typ A ist systematisch vorgegangen. Spontan dagegen packt Typ B: Im Koffer greifen Farbkleckse unkontrolliert ineinander über. Am Schluss ist alles drin, was ihm gerade in die Finger geraten ist, ob´s zueinander passt oder nicht, ist zweitrangig. Schließlich kommt dieser Typ mit allen Gegebenheiten bestens zurecht und ist schnell zufrieden.
gepackt - getragen - gewogen - genau codiert -
gefördert - gecheckt - gescannt - gesortet -
gesammelt - Gepäck geladen - gesichert -
...geht los!
Das kleine Universum in der Hartschale
Einmal aus der Hand gegeben, entschwindet der Koffer jetzt für unbestimmte Zeit unserem Blickfeld, als einer von vielen, anonym, verschlossen, taucht er noch vor uns ein in die Welt des Reisens, und trägt in sich sein eigenes kleines Universum.
Auf dem Bildschirm erscheint der Umriss des Gepäckstücks, schemenhaft zeichnen sich die gepackten Gegenstände darin ab, warme und kühle Bereiche farblich getrennt. Der Koffer selbst wirkt dabei wie eine Zelle (unter einem Mikroskop betrachtet) darin eingeschlossen tummeln sich die verschiedenartigsten Inhalte. Fasziniert von der Ästhetik dieser Bilder experimentierte ich zunächst mit dicker Farbe. Indem ich Koffer und diverse kleine Gegenstände damit eingestrichen und auf Papier gedruckt habe, versuchte ich eine ähnliche Wirkung wie beim Durchleuchten zu erzielen. Die Beize-Lasur lässt das weiße Papier durchscheinen; so entsteht eine dem Bildschirm ähnliche Leuchtkraft. Beim Betrachter will ich mit einem ungewohnten Bildaufbau Spannung erzeugen, die Anordnung der Dinge wird ihm zufällig erscheinen. Manche Kompositionen entfliehen über den Blattrand dem Blickfeld, dieses füllt sich mit Weißraum und impliziert im Ausschnitthaften eine zeitliche Abfolge.
War der Koffer bisher noch alleine, so stößt er jetzt (im wahrsten Sinne des Wortes) auf seinesgleichen.
Ulrich Giersch spricht in dem Buch „Alle Koffer fliegen hoch“ von einer Schicksalsgemeinschaft: „Reisen heißt eben auch näher zusammenrücken, Berührungsängste aufzugeben und sich gewisse Unannehmlichkeiten aufzuladen (...) Die Flüchtigkeit
des Reisens findet im Koffer ein materielles Aggregat, das im Wechselbad der Zeiten und Fahrpläne die Ruhe behält. Die Ästhetik der Koffer gründet in ihrer gleichsam stoischen Form, an der sich die Zeitläufe so lange reiben und stoßen, bis sie sich in die Form und Materialstruktur eingeprägt haben.“
Es sind die Gebrauchsspuren, die den Koffer für mich besonders betrachtenswert machen. Erst sie machen ihn mit der Zeit unverwechselbar. Die abgenutzte Oberfläche, eingedrückte Ecken, eine fehlende Schnalle sind unter anderem zu Bildinhalten geworden. Ausschnitthaft festgehalten, rücken Komposition und Farbigkeit in den Vordergrund, verschiedene Strukturen sollen dem Bild Identität geben. Nach der Abstraktion führt die Inhaltlichkeit den Betrachter wieder auf den Begriff zurück.
Es gibt keine abstrakte Kunst. Man muss immer mit etwas beginnen.
Nachher kann man alle Spuren des Wirklichen entfernen.
Dann besteht ohnehin keine Gefahr mehr, weil die Idee des Dinges
inzwischen ein unauslöschliches Zeichen hinterlassen hat.
Es ist das, was den Künstler in Gang gebracht, seine Ideen angeregt,
seine Gefühle bewegt hat.
(Pablo Picasso)
Fluggepäck kann im Transitverkehr leicht verloren gehen. Wenn sich der Besitzer nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht selbst gemeldet hat, wird das Gepäckstück meist zur Versteigerung freigegeben. Bei der Einschätzung dieser Veranstaltung teilen sich die Meinungen:
Optimisten erhoffen sich darin Schätze, Humorvolle suchen nach Spiel und Spaß, Sensible Gemüter befürchten die Privatsphäre zu verletzen und es käme für sie nicht in Frage einen Koffer zu ersteigern; und beim Nächsten stößt man auf absolutes Desinteresse, weil er darin ohnehin nur schmutzige Unterwäsche vermutet.
Aber was ist, wenn man selbst den Verlust eines Koffers zu beklagen hat? Zieht man Rückschlüsse auf meine Person? Schließlich wird der Inhalt unweigerlich mit dem Besitzer verknüpft und nur ein verschlossener Koffer ist ein Schutzraum dieser Persönlichkeit. In meiner Arbeit führe ich dem Betrachter die Persönlichkeiten der Besitzer auf verschiedene Weise vor.
Einmal werden die von mir ersteigerten Kleidungsstücke, in Wachs getaucht zu Skulpturen, und spielerisch humorvoll in Szene gesetzt. So setze ich der personifizierten Zufälligkeit ein Denkmal. - Wird die Person bloßgestellt? Mit der Dreidimensionalität unterstütze ich die Vorstellungskraft des Betrachters, lasse ihn sich selbst dabei ertappen, wie er das Bild der Person, das dabei in seinem Kopf entsteht, belächelt oder bedauert. Fast geschützt dagegen die Dingwelt im Wachsblock. Halbtransparenz weckt hier beim Betrachter die Neugierde - kaum befriedigt durch die wenigen Stellen im Wachs, die den Blick auf das Darunterliegende freigeben. Gelöst vom äußeren Material zeige ich in reiner Form den Kern, das Herzstück eines jeden Koffers: den Inhalt, denn erst dieser verleiht ihm Sinn und Zweck.